In Japan weit verbreitet, ist der Begriff Bun Bu Ryō Dō im Westen weitestgehend unbekannt. Auch innerhalb der Kampfkünste, und das obwohl das Konzept hinter diesem Begriff essentieller Bestandteil jeden Kampfkunststudiums sein sollte.
Schauen wir doch erstmal sprachlich auf den Begriff. Bun Bu Ryō Dō setzt sich aus insgesamt vier Kanji zusammen:
文 (Bun) = Buchstabe / Schrift
武 (Bu) = Krieg
両 (Ryō) = beides
道 (Dō) = Weg / Pfad
Hinter 文 verbirgt sich jedoch noch etwas mehr. In diesem Fall meint das Kanji 文事 oder 学芸, was so viel wie Kunst, Wissenschaft, oder freie Künste bedeutet. Hierunter fallen auch die klassischen japanischen Künste der Kalligraphie, des Blumensteckens oder der Teezeremonie. Im Falle des Kanji 武 sind vielmehr 武事 oder 武芸, also die Kampfkünste gemeint.
An der Stelle sollte nun klar sein, was unter Bun Bu Ryō Dō zu verstehen ist. Nämlich die Fähigkeit sowohl im Theoretischen als auch Praktischen meisterhaftes Können an den Tag zu legen. Der Begriff steht auch in Verbindung mit einer Person die nach dieser Form von zweifacher Meisterschaft strebt.
Es ist unklar, wann der Begriff genau entstand, aber besonders im 15. und 16. Jahrhundert wurde Bun Bu Ryō Dō die Grundvoraussetzungen für einen Samurai als Krieger oder Führer anerkannt zu werden. Denn waren sie doch neben ihrer Tätigkeit als Krieger zugleich auch Politiker und Diplomaten und waren für die Erhaltung des Gleichgewichts der Mächte im alten Japan von entscheidender Wichtigkeit. Man ging sogar so weit zu sagen, dass ein ungebildeter und lediglich im Umgang mit Waffen geschulter Samurai eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.
文 und 武 wurden fortan als zwei Seiten der selben Medaille angesehen. In anderen Worten, 武 ohne 文 bedeutete eine unvollkommene Kampfkunst und konnte somit keinen respektablen Samurai hervorbringen.
Heute verstehen wir unter 文 nicht mehr länger nur kulturelle Bildung, sondern der Begriff umfasst nun höhere Bildung im Allgemeinen und das im Sinne einer kritischen und wissenschaftlich geprägten Auseinandersetzung mit einem entsprechenden Fachgebiet.
Die Verwirklichung von Bun Bu Ryō Dō im Karate bedeutet somit, sich nicht nur auf das rein körperlich-praktische Training zu beschränken, sondern auch den Geist und den Charakter zu schulen. Das bedeutet eine Menge Bücher zu lesen und sich mit Themen wie Geschichte, Kinesiologie, Philosophie, Strategie, Wissenschaft und sogar Religion auseinanderzusetzen um ein umfassendes Bild von der Kampfkunst Karate zu bekommen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es notwendig ist selbst zu schreiben und sich auf diese Weise praktisch mit dem theoretischen Wissen auseinanderzusetzen. In gewissem Maße ist Schreiben nämlich die Praxis der Theorie und führt wie die körperliche Übung zu einer noch tieferen Einsicht und Verknüpfung des angelesenen Wissens.
Sicherlich erfordert die Verwirklichung von Bun Bu Ryō Dō einen starken Willen, wenn nicht sogar Hingabe zur Kampfkunst und dem Wunsch dem Weg ganz und gar zu folgen, aber es ist möglich. Am Ende liegt es bei jedem selbst!