Die Beständigkeit der Unbeständigkeit
Am Anfang war die Unzufriedenheit
Was mit einer Handvoll Menschen in einem kleinen provisorischen Raum mit ausgemusterten Tatami, unter dem Name „Kata Bunkai Training“ begann, wird nun 10 Jahre alt. Hätte ich gedacht, dass die Nummer so lange Bestand haben wird? Nein! Hatte ich es gehofft? Oh ja.
10 Jahre sind eine lange Zeit und es ist sicher nicht verwunderlich, dass man sich nicht mehr an jede Station oder jedes einzelne Gesicht auf dieser Reise erinnern kann. Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, die Momente zu würdigen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind und hier und da auch den mahnenden Zeigefinger erheben.
Es ist rückblickend ein wenig ironisch, wenn ich daran denke, dass der Ursprung unseres Dojo in meiner eigenen Unzufriedenheit und einem großen Berg unbeantworteter Fragen liegt. Meine ganz persönliche Karatereise startete ich, wie viele in unseren Breitengraden, im Shotokan Karate, welches mich viele Jahre lang begeisterte, forderte und erfüllte. Doch nach vielen Jahren und vielen Prüfungen kam ich an einen Punkt, wo ich keine Antworten auf meine Fragen mehr bekam.
Warum mache ich das so und nicht anders?
Was bedeutet das eigentlich?
Die Stille und wenigen nicht zufriedenstellenden Antworten führten schließlich dazu, dass ich meine Suche auf andere Systeme und Stile ausweitete. Für jede Einzelne dieser Erfahrungen bin ich unglaublich dankbar und sie haben meinen Horizont wahnsinnig erweitert und auch mein technisches Können um Lichtjahre vorangebracht. Aber mein Herz schlug immer für Karate und ich konnte mich nicht damit zufriedengeben, dass es hier keine schlüssigen Antwort geben sollte. Bis ich auf McCarthy Sensei und das Koryu Uchinadi stieß. Der Rest ist Geschichte …
… Nein, eigentlich fing es hier erst an.
Die Keimzelle der Revolution
Ich sicherte mir eine Trainingszeit in unserem „kleinen Dojo“, wie wir es liebevoll nannten. Eigentlich war es nur ein ungenutzter Raum im Keller unserer Sporthalle, der früher als Ruheraum für die davor befindliche Sauna diente. Bevor diese irgendwann in den 80ern außer Betrieb genommen wurde. Eigentlich waren das alles mehr oder weniger Abstellkammern und man musste ein kleines Labyrinth aus ehemaligen Umkleiden und alten Duschen durchqueren, um dort hinzugelangen. Irgendwann wurde der Raum mal mit alten Matten ausgelegt, die bei jeder schnelleren Bewegung munter durch den Raum wanderten. Von der komischen Lüftung, die permanent eiskalte Luft in den Raum pustete, den vielen Spinnweben und dem halb aus der Wand gebrochenen Makiwara in der Ecke will ich gar nicht erst sprechen. Good old times!
In diesem Raum scharte ich jeden Freitagabend ein paar wenige Interessierte um mich und wir widmeten uns vor allem den Anwendungen der Shotokan Kata. Das Ganze natürlich fernab der unrealistischen modernen Wettkampfinterpretationen, sondern möglichst nah an der Realität. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass mit meinem persönlichen Fortschritt im KU auch immer öfter dessen Partnerdrills ins Training einflossen. Und meiner kleinen Truppe gefiel das. Sie wollte mehr.
Es wurde offiziell
Um den Wissensdurst zu stillen, lud ich Olaf Krey, den deutschen Shibu-Cho und Vertreter McCarthy Senseis zu einem eintägigen Seminar nach Fulda ein. Als Thema bat ich um die Kata Naihanchi (Tekki) und deren Anwendung (Oya-Waza). Mein Ziel war es, mehr Leute für unsere Gruppe zu begeistern, was tatsächlich (auch gegen einige Widerstände aus den altgedienten Reihen) Früchte trug. Die Gruppe wuchs und das kleine Dojo geriet an seine Kapazitätsgrenze, woran sich auch für längere Zeit nichts mehr ändern sollte. Und das war eigentlich auch die Geburtsstunde des Koryukan Fulda.
Der Fokus auf die Shotokan Kata ging mit der Zeit zugunsten des Koryu Uchinadi verloren und somit machten wir Nägel mit Köpfen und beantragten die Registrierung als KU Dojo. Eine Webseite wurde erstellt, eine zweite Trainingszeit eingeführt und rückblickend begann die eigentliche Reise erst jetzt.
Ein Dojo, das sind vor allem die Menschen
Bis hierher klingt es, als sei so ein Dojo vor allem ein Verwaltungsakt. Dinge, um die man sich kümmern muss. Organisation und Planung. Aber ein Dojo, das sind vor allem die Menschen, die sich darin bewegen. Ihre Persönlichkeiten und Macken. Und aus der Sicht eines Sensei oder Dojo Leiters sind es vor allem Weggefährten auf Zeit. Menschen, die kommen, die man schätzen und lieben lernt und die man irgendwann wieder loslassen muss.
Bedingt durch persönliche Rückschläge startete der Koryukan Fulda für mich vor allem mit einem Prozess des Loslassens von wichtigen Personen und Lebensumständen. Aber das Schicksal (oder wie auch immer man das nennen mag) spülte neue Menschen durch die Hallentüren, die mir und unserem Dojo eine unvergessliche Zeit bescherten. Sowohl menschlich als auch körperlich ging es wild zur Sache. Ich glaube, so fit wie in den Jahren 2014 bis 2016 war ich in meinem ganzen Leben nicht und werde es vermutlich auch nie wieder sein. Eine Truppe, die wie Arsch auf Eimer passte, wie man so schön sagt, die sich gegenseitig zog und zu Höchstleistungen motivierte. Menschen, die unser Dojo längst verlassen oder eine dauerhafte Pause eingelegt haben, die mir (vor allem in dieser Kombination) immer im Gedächtnis bleiben werden. Daher will sich sie an dieser Stelle noch mal besonders hervorheben.
Julija, Julius, Patrick, Mike, Vanessa, Derek, Joschua … äh … Manuel, Marcus, Isabell
Danke für diesen sagenhaften Start und die vielen gemeinsamen Stunden auf und neben der Matte. Es war eine unglaubliche Zeit mit euch und ich wünsche mir, dass wir irgendwann mal wieder gemeinsam im Dojo stehen, auch wenn ich weiß, dass es nie wieder so sein wird wie damals. Aber ein wenig Nostalgie ist, denke ich, zu so einem Jubiläum gestattet.
Ich möchte aber auch den vielen Menschen danken, die in den letzten zehn Jahren nur kurz mit uns unterwegs waren, die unser Dojoleben aber ebenfalls unglaublich bereichert haben.
Die Corona Bremse
Es ist leider nur allzu menschlich, dass wir mit der Vergänglichkeit und der Veränderung niemals so richtig warm werden und glauben, dass es immer so weitergehen wird. Und dann kommt dieser Moment, wo nichts mehr so ist, wie es mal war. Der März 2020 war so ein Moment.
Unser kleines, mit vielen Erinnerungen behaftetes Räumchen war nach vielen Monaten Arbeit einem neuen, modernen, japanisch eingerichteten Dojo gewichen, welches endlich mit hartem Training gefüllt werden wollte. Und dann kam der Tag, an dem die Welt, wie wir sie kannten, plötzlich stillstand.
Ein Satz, den man sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht mal vorstellen konnte, gefolgt von zwei Jahren, die in meinem Kopf irgendwie nicht vorhanden zu sein scheinen. Ein Stillstand, der zum einen guttat, aber auch Angst machte.
An dieser Stelle muss man dem technischen Fortschritt mehr als nur dankbar sein, dass wir unser Training ins Internet verlagern konnten und so für unser Dojo kein richtiger Stillstand zustande kam. Und doch scheinen diese zwei Jahre ihre Spuren hinterlassen zu haben.
Unbeständigkeit, das neue Normal?
Bis zum Beginn der COVID-19 Pandemie, war ich es eigentlich gewohnt, dass unser Dojo immer gut gefüllt war. Auch wenn Großgruppen von bis zu dreißig Personen wie zu meiner Anfangszeit in den Kampfkünsten schon lange der Vergangenheit angehörten, konnten wir das Dojo trotzdem eigentlich immer so ausreichend befüllen, dass man ein wenig aufpassen musste wie man sich beim Partnertraining bewegte. Und eigentlich hatte ich erwartet, dass wir diesen Zustand wieder erreichen würden, sobald wieder ein wenig Normalität eingekehrt ist. Die ersten Semesterstarts und Anfängerkurse schürten die Hoffnung, dass diese Annahme stimmt. Aber Annahmen sind ja auch nur Erwartungen, die auf bisherigen Erfahrungen beruhen. Corona hingegen hat die Welt jedoch auf den Kopf gestellt.
Die Hoffnung, dass die Unbeständigkeit sich in Wohlgefallen auflöst, ist in die Erkenntnis gemündet, das Unbeständigkeit wohl etwas ist, an das man sich gewöhnen muss. Rückblickend war und ist natürlich alles immer unbeständig und Veränderungen unterworfen. Aber früher lag etwas mehr Zeit zwischen den jeweiligen Abschnitten. Jetzt kommen die Veränderungen schneller, von Woche zu Woche.
Die letzten Monate waren anstrengend und das vor allem didaktisch für mich als Lehrer. Ich habe noch nie erlebt, dass die Gruppenkonstellation von Training zu Training so unbeständig ist, dass man sich auf nichts einstellen und auch nicht vorbereiten kann. Aufeinander aufbauendes Training war nur bei wenigen Personen möglich. Auch Menschen, die zuvor als sichere Instanz galten, strauchelten oder brachen plötzlich ganz weg. Neue Gesichter kamen und gingen und auch meine berühmte Rede über Respekt gegenüber allen Mitgliedern der Dojogemeinschaft konnte daran nichts ändern. Und so gestaltet sich das Training in den letzten Wochen zunehmend intensiv. So nannten es mein ehemaliger Japanischlehrer, wenn nur zwei Leute zum Unterricht erschienen.
Ein “kleines” Jubiläum
Daher könnte man sich nun die Frage stelle, ob es angemessen ist, ein zehnjähriges Jubiläum mit nur fünf Leuten zu begehen, auch wenn es mehr hätten sein können. Auch eine vorausschauende Planung schützt einen vermutlich nicht mehr davor, dass am Tag vor dem geplanten Event Menschen etwas anderes (Besseres?) vorhaben. Wenn bereits eine regelmäßige Teilnahme am Training für viele zur Herausforderung geworden ist, stehen zusätzliche Veranstaltungen sicherlich nicht unbedingt unter einem besseren Stern.
Nichts desto trotz traf sich der (scheinbar) harte Kern am Samstag, den 27.08.2022 zu einer kleinen historischen Rückschau, indem wir einen Blick ins White Crane Kung Fu warfen. Quasi zurück zu den Wurzeln um die Ursprünge des okinawanischen Karate zu ergründen.
Die gesamte Veranstaltung inkl. des sich daran anschließenden Picknicks lässt einen somit auch irgendwie unweigerlich an die guten alten Zeiten zurückdenken. Zurück an die Zeit, als die Kampfkünste in Hinterhöfen an eine kleine ausgewählte Gruppe von Interessierten weitergegeben wurden. So wie auch wir vor zehn Jahren mit einer Handvoll Menschen in einer kleinen Abstellkammer begannen, die Geheimnisse das Karate zu ergründen.
Und somit ist am Ende nur eines gewiss, nämlich das nichts gewiss ist und die Beständigkeit in der Unbeständigkeit besteht.
Auf die nächsten zehn Jahre!