Was ist eigentlich Karate?

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Was ist Koryu Uchinadi?

Koryu Uchinadi (jap. 古流沖縄手, dt. „alte Okinawa Hand“) – von den Übenden kurz “KU” genannt – ist ein von Patrick McCarthy begründeter Karate-Stil, der sich auf das klassische Okinawa-Karate und dessen Ursprünge beruft.

Koryu Uchinadi versteht sich selbst aber nicht als in sich geschlossener Stil mit unverrückbaren Prinzipien, sondern vielmehr als funktionale und systematisierte Übungs-, Lehr- und Lernmethode für die alten Kampfkünste Okinawas (Karate & Kobudo).

Ganz im Sinne dieser Tradition arbeitet es daher beständig an dem Ziel, den Übenden zu einer effektiven Selbstverteidigung zu befähigen.

Die Übung von Koryu Uchinadi verfolgt im Wesentlichen drei Zielsetzungen. An erster Stelle geht es darum sich effektiv verteidigen zu lernen, in zweiter Instanz bietet das System aber auch einen Weg zum Verstehen von Kata, die oft als das Rätsel des Karate bezeichnet werden, weil sie verteidigungsrelevante Prinzipien und Techniken enthalten. An dritter Stelle nimmt auch die geistige Entwicklung einen hohen Stellenwert im Training ein, weshalb Koryu Uchinadi auch eine Alternative zu konventionellen westlichen Fitness- und Streßbewältigungsmethoden und kann helfen das Gleichgewicht in persönlichen und beruflichen Beziehungen wieder herzustellen. Wie bei allen klassischen Kampfkünsten heißt es auch bei uns „Körperkontrolle statt reiner Muskelkraft“, weshalb Koryu Uchinadi für alle Altersgruppen geeignet ist.

Techniken

Koryu Uchinadi vermittelt eine breite Palette waffenloser Selbstverteidigungstechniken. Hierzu gehören u. a.:

  • Attackieren des Körpers durch Schläge und Tritte (Tsuki-Waza, Heishu-Waza, Kaishu-Waza, Keri-Waza)
  • Gelenkhebel und das Attackieren von Vitalpunkten (Kansetsu-Waza, Tuite-Waza, Kyushu-Jutsu),
  • Würge- und Strangulierungstechniken (Shime-Waza),
  • Würfe und Stand-Bodenübergänge und die zugehörige Fallschule (Nage-Waza, Ukemi-Waza),
  • Clinch und Bodenkampf (Ne-Waza).

Lehrmethodik

Das Studium von Koryu Uchinadi besteht aus vier Kernbereichen:

Die Basis bildet dabei das Training verschiedener grundlegende Übungen (Kihon), die bereits in Formen verpackt sind (Kata). Diese können vom Schüler ohne Partner geübt werden.

Zu jeder dieser Kihon Kata existieren realitätsbezogene Partnerübungen (Futari Geiko), die den Schüler mit den häufigsten Formen physischer Gewalt (habitual acts of physical violence, HAPV) konfrontieren.

Das intensive Studium dieser Futari Geiko versetzt den Schüler nach einiger Zeit der Übung in die Lage, spontan und kreativ auf solche Angriffe zu reagieren.

Neben diesen Futari Geiko gehört auch das Studium alter klassischer Kata und deren Anwendungen zum Training.

Der Schüler erlernt mit der Zeit den Zusammenhang von Kata und Anwendung und entwickelt mit deren Hilfe ein umfangreiches Repertoire intuitiver und effektiver Selbstverteidigungstechniken.

Haltung

Wie weiter oben bereits erwähnt handelt es sich beim Koryu Uchinadi nicht um ein fertiges und in sich geschlossenes System. Das englische Sprichwort “Thinking outside the box!” repräsentiert am deutlichsten die Grundhaltung des Systems. Sinngemäß übersetzt bedeutet dies, sich nicht von den Mauern (der Box) eines Systems einengen zu lassen, sondern immer offen für neue oder andersartige Einflüsse zu sein (die Box verlassen und sich andere Kisten (Systeme) anschauen). Dahinter verbirgt sich auch, wichtige Aspekte selbstverteidigungsbezogener Situationen nicht auszublenden (z. B. die Tatsache das die Möglichkeit besteht sich auf dem Boden liegend verteidigen zu müssen).

Dabei geht es weniger darum in allen Bereichen absolute Meisterschaft zu erlangen, sondern – neben den klassischen Methoden des Schlagens und Tretens – auch in spezielleren Teilbereichen, wie z. B. dem Bodenkampf, zumindest über so viel Wissen zu verfügen, das man in der Lage ist sich dieser Situation zu entziehen um wieder auf sicheres Terrain zu gelangen (z. B. um zu fliehen oder eben die Verteidigungssituation im Stand fortzusetzen).

Somit gibt es im Koryu Uchinadi auch keine wirkliche Definition von falschen oder richtigen Techniken. Falsch kann eine Technik nur dann sein, wenn sie für den Ausführenden und seine körperliche Beschaffenheit nicht funktioniert oder umsetzbar erscheint. In diesem Fall muss eine Anpassung erfolgen. Aus diesem Grund ist ein kritisches Hinterfragen schon zu Beginn des Studiums gewollt und auch notwendig um eine lebendige Auseinandersetzung mit der Kampfkunst zu erreichen.

Patrick McCarthy Hanshi

Patrick McCarthy wurde am 4. Dezember 1954 in Kanada geboren. Bereits im Alter von 10 Jahren begann er mit dem Karate (Shorin-Ryu) und sammelte später auch Erfahrungen im chinesischen Wushu und japanischem Jû-Jutsu. In den 70er und 80er Jahren feierte er eine Vielzahl von Wettkampferfolgen zu denen neben 300 kleineren Erfolgen auch 2 nordamerikanische und 3 nationale Titel zählten.

Während seiner aktiven Wettkampfjahre traf McCarthy Sensei auf Richard Kim (1917 – 2001) der in Fachkreisen auch der “Harvardprofessor der Kampfkünste” genannt wurde und wurde um 1977 dessen Schüler. Angeregt durch Kim Sensei, der immer betonte wie wichtig auch das theoretische Studium der Kampfkünste ist, begann McCarthy mit der tieferen Erforschung der Geschichte und Philosophie des Karate.

Nachdem McCarthy daraufhin lange Zeit Mitglied im Dai Nippon Butotukai (DNBK) war und dort letztlich mit dem 5. Dan graduierte, verließ er Kanada im Jahr 1985 und zog nach Japan, nachdem er schon lange davon träumte in die Fußstapfen der alten okinawanischen Meister zu treten.

Mit Empfehlungsschreiben von Mentoren wie Kinjô Hiroshi Hanshi (ehemaliger Vorsitzender der Karate-Sektion des DNBK), Matayoshi Shinpô Hanshi (Vorsitzender der Karate-Sektion des DNBK in Okinawa) oder Matsushita Kyôchô Hanshi (wurde später Vorsitzender der Karate-Sektion des DNBK) geehrt, graduierte McCarthy Sensei vor einer Komission des DNBK zum 6. Dan Karate. Zu dieser Zeit hatte noch kein anderer Nichtjapaner eine Prüfung vor dem DNBK bestanden. 1989 eröffnete er mit der Hilfe seines Lehrers Kinjô Hiroshi in Fujisawa [Kanagawa, Japan] sein eigenes Dôjô – den Koryûkan. Nach weiteren fünf Jahren, in denen er sich mit Hingabe der Erforschung und dem Training der Kampfkünste widmete und darüber hinaus verschiedene offizielle Funktionen des DNBK übernommen hatte, wurde er erneut eingeladen eine Prüfung abzulegen. Nach strengen schriftlichen und praktischen Prüfungsteilen erhielt er vom Prüfungskommitee des DNBK im April 1994 seine Kyôshi-Lizenz und den 7. Dan Karate. Auch dies war ein in der Geschichte des DNBK bis dato einmaliges Ereignis. Nach insgesamt 10 Jahren der Forschung und ausgedehnten Exkursionen nach Taiwan, Korea, Hong Kong und in die Volksrepublik China (unter anderem Fújiàn und Hénán), Indien und Ägypten verließ er gemeinsam mit seiner Frau Yuriko Japan und zog nach Brisbane in Australien wo er am Australischen College of Natural Medicine einen staatlich akkreditierten Studiengang zur Ausbildung von qualifizierten Kampfkunstlehrern leitete. Nach einem kurzen Aufenthalt in Los Angeles, siedelten McCarthy Sensei und seine Frau Ende 2020 nach Okinawa über.

Im Jahr 2005 wurden McCarthy Sensei durch seinen Lehrer, Kinjô Hiroshi, der 8. Dan und eine Hanshi-Lizenz verliehen. Heute ist McCarthy Hanshi Träger des 9. Dan, welchen er ebenfalls von Kinjô Hiroshi Hanshi verliehen bekam. Er lebt heute nach wie vor in Australien und arbeitet als Autor, unterrichtet internationale Seminare und leitet die IRKRS.

Logo der International Ryukyu Karate Research Society (IRKRS)

Die International Ryukyu Karate Research Society (IRKRS)

Die IRKRS wurde 1989 in Japan durch Patrick McCarthy mit Hilfe von Kinjô Hiroshi Hanshi, ins Leben gerufen. Ziel war es eine kleine Gruppe ausländischer Forscher zu unterstützen. Im Jahre 1996 wurde die Gesellschaft für die Öffentlichkeit geöffnet, was sie mit den vielfältigen Ansprüchen interessierter Übender der ganzen Welt konfrontierte. Alle Mitglieder verfolgen ein gemeinsames Interesse, nämlich der Erforschung des Karate, wie es vor der Versportlichung geübt wurde.

Heute zählt die Organisation mehrere tausend Mitglieder aus über 25 Ländern der Erde.

Die IRKRS hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich mit dem überlieferten japanischen und okinawanischen Erbe des Karate und den Pionieren dieser Kampfkunst sowohl praktisch als auch akademisch auseinanderzusetzen. Die IRKRS beheimatet vor allem Lernende und Lehrende des Karate und Kobudô die damit begonnen haben überritualisierte und regelgebundene Übungen in der Kampfkunst zu hinterfragen. Hierzu gehört auch verbandspolitischer Propaganda, die einen Stil oder eine Schule unter Berufung auf Traditionen als anderen überlegen darstellt, skeptisch gegenüberzustehen.

Frei nach Bashô einem japanischen Gelehrten, der einst sagte: “Folge nicht den Fußspuren vergangener Meister, sondern suche was sie einst suchten”, ist es die Aufgabe der IRKRS, Tradition lebendig zu halten und zu leben. Dazu gehört vor allem den Mitgliedern als Partner im Lernprozess zu dienen und sie nicht dienen zu lassen.

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